Wir können Probleme nicht mit der gleichen Denkweise lösen, mit der wir sie geschaffen haben.
Zusammenfassung:
- Trotz immer ehrgeizigerer Nachhaltigkeitsziele steigen die weltweiten Treibhausgasemissionen ungebremst an.
- Unternehmen, deren Ziele im Widerspruch zu ihren grundlegenden Überzeugungen und Wertesystemen stehen, werden nicht in der Lage sein, einen dauerhaften Wandel herbeizuführen.
- Echter Wandel setzt bei der Identität an. Um einen Kurswechsel zu bewerkstelligen, müssen Unternehmen zunächst ihre Grundüberzeugungen ändern, die zu den bisherigen Verhaltensweisen geführt haben.
„Echte Verhaltensänderung ist Identitätsänderung. Wenn Ihr Verhalten und Ihre Identität vollständig im Einklang miteinander sind, streben Sie keine Verhaltensänderung an. Sie verhalten sich dann einfach wie der Typ Mensch, für den Sie sich bereits halten.“ – James Clear
Wissenschaftlich fundierte Ziele, Fahrpläne und Aktionspläne sind die Eckpfeiler jeder wirksamen Nachhaltigkeitsstrategie. Doch wenn es darum geht, einen dauerhaften Wandel herbeizuführen, reichen sie allein nicht aus. Ein nachhaltiger Wandel ist nur möglich, wenn wir die grundlegenden Überzeugungen, die zu unseren bisherigen Verhaltensweisen geführt haben, genau unter die Lupe nehmen und dann unseren Kurs ändern.
Direkt auf den Eisberg zusteuern
Die gebräuchlichste Definition von Nachhaltigkeit stammt von der Weltkommission für Umwelt und Entwicklung der Vereinten Nationen. Sie stammt aus dem Jahr 1987 und lautet: „Nachhaltig ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen.“ Nachhaltigkeit berücksichtigt die Tatsache, dass Ressourcen – natürliche, soziale und wirtschaftliche – endlich sind und mit Blick auf langfristige Prioritäten und die Folgen der Übernutzung konservativ genutzt werden sollten. Nachhaltige Praktiken unterstützen die ökologische, menschliche und wirtschaftliche Gesundheit und Vitalität.
Im Laufe des 20. Jahrhunderts hat die Gesellschaft bezogen auf die in dieser Definition erwähnte „Befriedigung der Bedürfnisse der heutigen Generation“ einige bedeutende Fortschritte gemacht:
- Globale Armut: Weltweit ist der Anteil der Menschen, die in extremer Armut leben, in den letzten 200 Jahren drastisch zurückgegangen.
- Kindersterblichkeit: Die weltweite Kindersterblichkeit ist von 43 % im Jahr 1800 auf 4,5 % im Jahr 2015 gesunken.
- Bildung: Die Alphabetisierungs- und Schulbesuchsraten sind weltweit gestiegen; Schätzungen zufolge können heute über 80 % der Weltbevölkerung lesen und schreiben. Die Ungleichheiten beim Zugang zu Bildung sind zwar immer noch vorhanden, haben aber ebenfalls abgenommen.
Jedoch ist es leider nicht gelungen, die „Möglichkeiten künftiger Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen und ihren Lebensstil zu wählen“, sicherzustellen. Das 20. Jahrhundert war unter anderem durch einen drastischen Anstieg der Umweltzerstörung, des Verbrauchs natürlicher Ressourcen, des Abfalls, der Verschmutzung und der Treibhausgasemissionen gekennzeichnet. Die Auswirkungen menschlicher Aktivitäten haben 75 % der Land- und 66 % der Meeresumwelt der Erde erheblich verändert. Die Artenvielfalt befindet sich im freien Fall. Und die weltweiten energiebedingten CO2-Emissionen sind nach der COVID-19-Krise auf dem höchsten Stand aller Zeiten.
Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das Wirtschaftswachstum der letzten 200 Jahre auf Kosten der natürlichen Umwelt gegangen ist. Wenn wir so weitermachen, werden wir das Fundament, auf dem diese Errungenschaften aufgebaut wurden, unumkehrbar beschädigen.
Aber noch ist nicht alles verloren. Viele Länder und Organisationen haben die Krise, die sich um uns herum abspielt, als das erkannt, was sie ist: ein Notfall. Auch Unternehmen und Markeninhaber beginnen, der harten Wahrheit ins Auge zu blicken: nämlich dass die Überschreitung der planetarischen Grenzen ein schlechtes Geschäft ist. Und immer mehr von ihnen beginnen, ihren Kurs zu ändern.
Nehmen wir den Klimawandel als Beispiel. Im Jahr 2015 unterzeichneten 196 Länder das Pariser Abkommen, einen rechtsverbindlichen internationalen Vertrag, der die globale Erwärmung in diesem Jahrhundert stoppen soll. Gleichzeitig wurde die Initiative Science Based Targets (SBTi) ins Leben gerufen. Diese unterstützt Unternehmen in ihren Bestrebungen, ihre Treibhausgasemissionen im Einklang mit den neuesten Erkenntnissen der Klimawissenschaft zu reduzieren. Heute arbeiten über 2200 Unternehmen, die mehr als ein Drittel der Marktkapitalisierung der Weltwirtschaft repräsentieren, mit SBTi zusammen.
Das ist ein bitter nötiger Fortschritt. Doch trotz immer ehrgeizigerer Nachhaltigkeitsziele steigen die weltweiten Treibhausgasemissionen ungebremst an. Jahr für Jahr müssen wir erleben, dass Nationen und Unternehmen ihre Klimazusagen nicht einhalten. Laut dem jüngsten Corporate Climate Responsibility Monitor „bleiben die Klimaziele der Unternehmen für 2030 weit hinter den Ambitionen zurück, die er erforderlich sind, um die international vereinbarten Ziele des Pariser Abkommens zu erreichen.“ Die Nachrichten des Climate Action Trackers sind nicht besser: Kein einziges Land ist derzeit auf gutem Wege, das 1,5 °C-Ziel zu erreichen. Ähnliche Trends sind bei der Beachtung anderer planetarischen Belastungsgrenzen zu beobachten – in den Bereichen Biodiversität, Wasser, Landnutzung und biogeochemische Abläufe.
Wir steuern direkt auf den Eisberg zu. Warum ändern wir nicht schnellstens den Kurs?
Eine tiefgreifende Transformation erfordert einen identitätsbasierten Wandel
Die Antwort finden wir bei James Clear, einem der bekanntesten Experten für Verhaltensänderung. In seinem Buch „Atomic Habits“ zeigt er auf, wie schwierig es ist, einen echten Wandel herbeizuführen, und warum uns Ziele allein nicht dorthin bringen, wo wir als Einzelpersonen, Organisationen und Gesellschaften insgesamt hin wollen – und hin müssen.
Clear zufolge gibt es drei Ebenen, auf denen Veränderung stattfinden kann (vergleichbar mit den Schichten einer Zwiebel): Ergebnisse, Prozesse oder Identität.
- Ergebnisse: Die erste Schicht der Veränderungszwiebel betrifft die Ergebnisse: Erstellung einer Ökobilanz, Veröffentlichung eines Nachhaltigkeitsberichts, Reduzierung der Emissionen. Die meisten Ziele, die Unternehmen sich setzen, fallen in diese Kategorie.
- Prozesse: Die zweite Schicht betrifft die Änderung von Gewohnheiten: Einführung eines neuen Produktionsverfahrens, Verwendung von recyceltem Verpackungsmaterial, Kauf von Strom aus erneuerbaren Energien. Prozesse sind die Routinen, die Ergebnisse möglich machen.
- Identität: Diese Schicht betrifft die Änderung von Überzeugungen, Werten, Annahmen, Vorurteilen und Weltanschauungen. Wenn beispielsweise der Leiter eines Schokoladenunternehmens der Meinung ist, dass jeder Mensch die gleichen Menschenrechte hat, wird er eher bereit sein, Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass der Kakao, den das Unternehmen bezieht, frei von Sklavenarbeit ist. Wer finanzielle Gewinne höher bewertet als soziale Gerechtigkeit, wird hingegen versuchen, den billigsten Kakao zu kaufen.
Jede Ebene der Veränderung hat ihre Vorzüge und ist auf ihre Weise nützlich. Das Problem ist die Richtung des Wandels. Die meisten Menschen und Organisationen kratzen nur an der Oberfläche. Sie konzentrieren sich auf das, was sie erreichen möchten, und nicht darauf, wer sie werden möchten. Sie denken: „Ich möchte klimaneutral sein“ (Ergebnis) und führen eine neue Technologie (einen neuen Prozess) ein, um dieses Ziel zu erreichen. Sie setzen sich Ziele, ohne an ihren Überzeugungen und ihrer Weltanschauung (Identität) zu rütteln, die dem derzeitigen Verhalten zugrunde liegen. Eines ist sicher: Wir können Probleme nicht mit derselben Denkweise lösen, mit der wir sie geschaffen haben.
Clear erklärt, dass hinter jeder Handlung eine Reihe von Überzeugungen steht. Die Verringerung der Treibhausgasemissionen steht beispielsweise im Einklang mit der Markenidentität des Outdoor-Bekleidungs- und Ausrüstungsunternehmens Patagonia, dessen Mission auf Umweltverträglichkeit und Umweltschutz fußt. Die Identität eines Öl- und Gasunternehmens hingegen steht von Natur aus im Widerspruch zu Nachhaltigkeit.
Verhaltensweisen, die nicht mit den Grundüberzeugungen und -werten übereinstimmen, haben keinen Bestand. Ihr Ziel mag es sein, die Emissionen oder den Wasserverbrauch zu reduzieren, aber wenn Ihnen Profit wichtiger ist als Klimagerechtigkeit, werden Sie eher zu Greenwashing neigen, als sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen. Es ist schwer – ja sogar unmöglich –, sein Verhalten zu ändern, wenn man nicht zuerst die zugrunde liegenden Überzeugungen ändert, die zu den bisherigen Verhaltensweisen geführt haben.
Echter Wandel setzt bei der Identität an. Eine Person kann sich aus eigener Motivation heraus eine neue Angewohnheit aneignen, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie dabei bleibt, wenn sie diese neue Angewohnheit nicht zu einem Teil ihrer Identität macht. Das Gleiche gilt für Unternehmen. Unternehmen können sich die Selbstverpflichtung auferlegen, ihre Emissionen zu reduzieren, um mit der Konkurrenz mitzuhalten, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie auf Kurs bleiben, wenn sie das neue Verhalten nicht in ihrem Wertesystem verankern. So betrachtet besteht das Ziel nicht darin, Emissionen zu reduzieren, sondern ein nachhaltiges Unternehmen zu werden.
Echter Fortschritt erfordert das Verlernen bisheriger Verhaltensweisen
Viele Unternehmen sind, ähnlich wie Einzelpersonen, von einem Autopiloten gesteuert und folgen blindlings Normen, Standards und Praktiken, die vor langer Zeit festgelegt wurden. Es kommt uns nie in den Sinn, die Überzeugungen, Werte oder Vorurteile, die dem „Business as usual“ zugrunde liegen, zu hinterfragen. Wir verschmutzen die Umwelt über Jahre und Jahrzehnte hinweg solange, bis wir nicht mehr in der Lage sind, uns eine andere Art des Wirtschaftens vorzustellen.
Alle Überzeugungen werden durch Lernen und Konditionierung geformt. Unsere Gewohnheiten und Geschäftspraktiken verkörpern unsere Überzeugungen. Sie verstärken sie auch. Je öfter wir bestimmte Verhaltensweisen wiederholen und fördern (z. B. den Umsatz von Jahr zu Jahr zu steigern), desto tiefer verankern wir die zugrunde liegende Überzeugung (mehr ist besser). Deshalb ist es so wichtig, alte Verhaltensweisen zu verlernen.
Verlernen ist übrigens nicht gleichbedeutend mit Vergessen. Es geht dabei darum, sich bewusst für eine neue Denkweise, einen neuen Weg nach vorn zu entscheiden. Das Verlernen besteht aus drei Hauptschritten:
- Der erste ist zu erkennen, dass uns unsere derzeitige Identität nicht mehr dient oder nicht mit unseren Zielen übereinstimmt. Dabei müssen wir alles in Frage stellen – wer wir sind, was wir glauben, was wir schätzen und warum wir tun, was wir tun. Ja, es kann unangenehm sein, sich einzugestehen, dass das, was wir aufgebaut haben, auf einem veralteten und problematischen Modell fußt. Es ist immer bequemer, den Status quo beizubehalten, als sich zu verändern. Aber die Sache ist die: Ohne dass wir unsere Komfortzone verlassen, gibt es kein Wachstum.
- Wir müssen eine neue Identität entwickeln, mit der wir unsere Nachhaltigkeitsvision besser verwirklichen können. Fragen Sie sich: Was für ein Unternehmen wollen Sie sein? Wofür möchten Sie stehen? Welche Art von Unternehmen kann das gewünschte Ergebnis erzielen? Was sind seine Grundsätze und Werte?
Nun geht es darum, Ihre neue Identität in Ihren Verhaltensweisen zu verankern. - Wenn es keine Kontrollmechanismen gibt, die uns auf Kurs halten, laufen wir Gefahr, in alte Gewohnheiten zurückzuverfallen. Wir können zum Beispiel neue nachhaltige Geschäftsmodelle entwickeln, eine neue Governance-Struktur einrichten, die sicherstellt, dass Nachhaltigkeit in das gesamte Unternehmen integriert wird, oder die Leistung in jeder Unternehmensfunktion mit Nachhaltigkeitszielen und KPIs verknüpfen.
Wenn wir uns neue und bessere Überzeugungen zu eigen machen, können wir schon morgen damit beginnen, Dinge anders zu machen. Wie die Management-Legende Peter Drucker es ausdrückte: „Culture eats strategy for breakfast“ – Kultur isst Strategie zum Frühstück. Wenn unser Glaubenssystem (Organisationskultur) im Konflikt mit Zielen und Handlungen (Strategie) steht, wird das Glaubenssystem immer die Oberhand über die Ziele und Handlungen haben. Um das zu ändern, müssen wir uns im Kern ändern.