Die biologische Vielfalt unseres Planeten, eine wichtige Inspirationsquelle für pharmazeutische Durchbrüche,
steht an einem kritischen Punkt. Von ihrem Erhalt hängt ab, ob die Arzneimittelbranche auch künftig lebensrettende Innovationen auf den Weg bringen kann.
*Dieser Artikel erschien im Original in der NZZ am 1. Dezember 2023.
Hätten Sie’s gewusst? Rund 80 Prozent aller registrierten Arzneimittel und mehr als 70 Prozent aller Krebsmedikamente werden aus Pflanzen gewonnen oder sind von der Natur inspiriert. Das Schlüsselwort lautet Biodiversität. Gemeint ist die Vielfalt des Lebens auf den Ebenen der Ökosysteme, der Arten und der genetischen Variationen. Schon seit Jahrhunderten bilden sie eine geradezu unerschöpfliche Quelle für die Gewinnung von Heilmitteln aller Art. Vor allem Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen mit ihren natürlichen Verbindungen und Eigenschaften bildeten eine wahre Schatzkammer für pharmazeutische Entdeckungen. In weiten Teilen der Welt sind traditionelle Arzneimittel aus pflanzlichen und tierischen Quellen nach wie vor die wichtigste Grundlage zur Behandlung von Krankheiten aller Art.
Auch ökonomisch spielt Biodiversität eine wichtige Rolle. Immerhin hängt heute mehr als die Hälfte des globalen Bruttoinlandsprodukts (BIP) von der Natur und ihren Leistungen ab. Schätzungen zufolge geht es um ein Volumen von 40 Billionen Franken. Trotz solcher Zahlen wird der Stellenwert der Artenvielfalt noch häufig übersehen, was offenbar damit zu tun hat, dass Unternehmen sich gegenwärtig weit mehr auf die Reduzierung der CO2-Emissionen konzentrieren, wie Quantis, ein Unternehmen der Boston Consulting Group, als führende Beratungsfirma auf dem Gebiet der ökologischen Nachhaltigkeit beobachtet hat. Quantis arbeitet mit Marktführern auf der ganzen Welt zusammen, um die nachhaltige Transformation von Unternehmen voranzutreiben.
Innerhalb des globalen Gesundheitswesens spielt die Pharmaindustrie eine zentrale Rolle. Zu verdanken ist ihr die Entdeckung, Entwicklung und Verbreitung lebenswichtiger Therapien, Medikamente und Impfstoffe. Mit ihrem breit gefächerten Produktportfolio trägt sie massgeblich dazu bei, das Wohlbefinden und die Lebensqualität von Milliarden Menschen zu fördern. Die Branche hat sich mit ihren innovativen Lösungen zu einem wirtschaftlichen Motor entwickelt, der heute 1,6 Milliarden Franken zum globalen BIP beiträgt.
Vier Schritte, um die Krise der biologischen Vielfalt in Chancen zu verwandeln
1. Machen Sie sich die Abhängigkeit Ihres Unternehmens von der biologischen Vielfalt und die Auswirkungen Ihrer Geschäftstätigkeit auf die Biodiversität bewusst, indem sie eine entsprechende Folgenabschätzung durchführen.
2. Entwickeln Sie eine integrierte Umweltstrategie, die klare Ziele setzt im Hinblick auf die wichtigsten Treiber des Biodiversitätsverlusts, darin eingeschlossen die Aspekte Klimawandel, veränderte Landnutzung, Überkonsum, Wasserverschmutzung sowie Belastung der Umwelt durch Kunststoffe.
3. Etablieren Sie geeignete Governance-Strukturen und -Mechanismen, um diese Strategien erfolgreich umzusetzen und den Fortschritt zu überwachen.
4. Kooperieren Sie entlang der gesamten Wertschöpfungskette und innerhalb Ihrer Branche, um den systemischen Wandel zu beschleunigen.
Top-Pharmastandort Schweiz
Zu den weltweit wichtigsten Standorten der Pharmaindustrie zählt zweifellos die Schweiz. Das ist nicht überraschend: Sowohl führende multinationale Konzerne als auch kleinere und mittlere Firmen, die hierzulande ihren Sitz haben, schätzen die ideale Infrastruktur. Hinzu kommt die Nähe zu renommierten Forschungsinstitutionen – sie bietet ein optimales Klima für Innovation und Forschung. Auch die Rahmenbedingungen stimmen: Das Schweizer Gesundheitswesen unterstützt die Einführung neuer Medikamente und eröffnet Pharmafirmen so den Zugang zu einem hoch entwickelten Test- und Absatzmarkt. Neben dem Inland spielen auch die internationalen Märkte eine entscheidende Rolle. Immerhin mehr als ein Drittel der gesamten Schweizer Exporte entfallen heute auf die pharmazeutische Industrie.
Die Wertschöpfung der Branche ist in der Schweiz im vergangenen Jahrzehnt kontinuierlich gestiegen. Entlang der gesamten Wertschöpfungskette erwirtschaftet sie inzwischen mehr als 61 Milliarden Franken pro Jahr. Mit ihrem Wachstum – weltweit dürfte der Umsatz bis 2030 auf mehr als 2,4 Billionen US-Dollar steigen – stellt sich jedoch eine komplexe Herausforderung: Wie soll die Pharmaindustrie die Menschen mit hochwertigen, innovativen und sicheren Arzneimitteln versorgen und gleichzeitig die Auswirkungen auf und die Abhängigkeiten von der Natur verringern? Spürbar wächst inzwischen der Druck, die eigenen Geschäftspraktiken nach den planetaren Grenzen auszurichten und sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt zu engagieren.
In einem kürzlich von Quantis veröffentlichten Artikel zur «Bedeutung der Pharmaindustrie für die planetare Gesundheit» betonen Experten, die Arzneimittelbranche müsse dafür Sorge tragen, dass die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf Klima und Umwelt verringert und die natürlichen Ressourcen geschützt würden. Nach Ansicht der Autoren wird es «keine leichte Aufgabe, die Versorgung der Menschen mit lebenswichtigen Arzneimitteln und den Schutz der Natur unter einen Hut zu bringen. Allerdings haben weder die Branche noch wir Menschen eine andere Wahl, als uns dieser Aufgabe zu stellen.»
Wirkstoffe verschwinden
Intakte Ökosysteme sind für die menschliche Gesundheit von entscheidender Bedeutung. Gleichwohl lässt sich beobachten, dass diese dynamischen Beziehungsgeflechte von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen und ihren jeweiligen Biotopen zunehmend aus dem Gleichgewicht geraten – in erster Linie durch nichtnachhaltiges menschliches Handeln. Die Übernutzung der Böden und Meere, die Umweltverschmutzung und das Zerstören von Lebensräumen lassen die genetische und biologische Vielfalt immer mehr schrumpfen. Ein Domino-effekt: Wenn die Ökosysteme nicht mehr funktionieren, gefährdet dies die Möglichkeiten, neue Arzneimittel und Medikamente zu entwickeln. Aufgrund dieser Entwicklung könnten wertvolle Wirkstoffe und Moleküle verschwinden, bevor sie überhaupt entdeckt werden. Da immer mehr Pflanzenarten aussterben, geht die Forschung davon aus, dass alle zwei Jahre mindestens ein unentdeckter Wirkstoff verloren geht. Dies birgt Gefahren für die Gesundheit und kann Unternehmen daran hindern, geeignete Mittel für derzeit unheilbare Krankheiten zu finden. Darum ist es nach Ansicht der Fachleute so wichtig, die zunehmend gefährdeten Ökosysteme zu erhalten oder zu restaurieren. Nur so lässt sich eine stetige Versorgung der Arzneimittelproduktion mit Wirkstoffen gewährleisten.
«Die Berücksichtigung der biologischen Vielfalt ist nicht nur eine Verantwortung, sondern eine strategische Notwendigkeit.»
Fünf Hauptursachen für den Verlust der Biodiversität
Die Eingriffe des Menschen in Natur und Umwelt haben enorme Auswirkungen – auch auf die pharmazeutische Industrie. Hier die fünf Hauptursachen für den Schwund der biologischen Vielfalt:
- Zunehmende Land- und Meeresnutzung
- Direkte Ausbeutung von Organismen
- Klimawandel und Zunahme von Krankheiten
- Verschmutzung von Böden, Wasser, Luft
- Verbreitung invasiver nichtheimischer Arten
Quellen: IPBES, WIR, NHM, Convention of Biological Diversity
Strategische Notwendigkeit
«Auf dem Weg der Pharmaindustrie weiter in Richtung Nachhaltigkeit ist die Berücksichtigung der biologischen Vielfalt nicht nur eine Verantwortung, sondern eine strategische Notwendigkeit», betont Jessica Browning, Senior Sustainability Strategist bei Quantis in der Schweiz. «Als Verbündete der Natur stehen wir an vorderster Front und sind uns bewusst, dass der Schutz der biologischen Vielfalt nicht nur für die Gesundheit unseres Planeten von entscheidender Bedeutung ist, sondern auch für die Innovationen und Fortschritte, die unsere Branche vorantreiben. Es ist ein Bekenntnis zur Widerstandsfähigkeit, ein Versprechen an zukünftige Generationen und ein Pfad zu einer gesünderen Bevölkerung und einem gesünderen Planeten von morgen.»
«Auf dem Weg der Pharmaindustrie weiter in Richtung Nachhaltigkeit ist die Berücksichtigung der biologischen Vielfalt nicht nur eine Verantwortung, sondern eine strategische Notwendigkeit.»
Jessica Browning
Senior Sustainability Strategist
Quantis
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