Der Verlust an Biodiversität kann nicht länger als Nebenerscheinung der Klimakrise betrachtet werden – beide Herausforderungen müssen unbedingt gemeinsam angegangen werden.
Nach zwei Wochen intensiver und zäher Verhandlungen wurde bei der COP15 in Montreal, die auf die COP27 in Ägypten folgte, endlich ein neues globales Biodiversitäts-Rahmenwerk (GBF – Global Biodiversity Framework) festgelegt. Wie bei solchen globalen Gipfeln üblich, ist die Schlussvereinbarung längst nicht perfekt, stellt jedoch einen entscheidenden Schritt für den Schutz der Natur dar. Sie soll einen Prozess in Gang setzen, dass den Biodiversitätsverlust nicht nur stoppt, sondern umkehrt.
Die Kunming-Montreal-Vereinbarung wird als Natur-Äquivalent des Übereinkommens von Paris betrachtet und gilt als wichtiger Meilenstein, da sie festlegt, dass der Verlust an Biodiversität nicht länger als Nebenerscheinung der Klimakrise betrachtet werden darf, sondern beide Herausforderungen unbedingt gemeinsam angegangen werden müssen. Laut Weltwirtschaftsforum stellt der Verlust an Biodiversität das drittgrößte Risiko für die globale Wirtschaft dar. Und auch wenn bereits die Hälfte der Unternehmen Schritte unternimmt, ihren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, haben erst 5 % eine wissenschaftlich fundierte Bewertung vorgenommen, die ihren Einfluss auf die Natur bemisst.
Was bleibt also von der lang erwarteten, viermal verschobenen COP15-Konferenz? Um die Mängel der vorherigen Vereinbarungen zu vermeiden (Staatsregierungen, die die Ziele bis 2020 verpasst haben), wurden die Verhandlungen diesmal aus einem anderen Blickwinkel angegangen und enthalten Bestimmungen, die dafür sorgen, dass die Ziele messbar sind, sowie Mechanismen, die den Fortschritt eines Landes nachvollziehen. Nach all den Debatten über Ambitionen und Machbarkeit zeigt diese umfassende Vereinbarung mit ihren 23 Zielen, dass das Bewusstsein für die planetaren Grenzen endlich auch auf der Weltbühne angekommen ist. Sie ist zudem ein wichtiges Marktsignal für die gesamte Geschäftswelt.
Quantis und die Boston Consulting Group waren bei der COP15 dabei und haben die wichtigsten Informationen für Unternehmen zusammengetragen.
COP15 – Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
- Das Vorzeigeprojekt „30×30“, bei dem 30 % der Land- und Meeresfläche spätestens bis 2030 unter Schutz gestellt werden sollen, hat es zusammen mit dem Vorhaben, 30 % der zerstörten Ökosysteme wieder aufzubauen, in die historische, finale Vereinbarung geschafft.
- Die Global Environment Facility (GEF) hat zudem weitere Unterstützung zugesichert, um die jährlich erforderlichen 30 Mrd. $ zum Schutz der Biodiversität bis 2030 bereitzustellen.
- Ein entscheidender Fokus lag auf der Reduzierung der Auswirkung von Produktion und Verbrauch, besonders im Bereich Lebensmittel (z. B. eine Halbierung der Lebensmittelverschwendung) sowie auf einer Verringerung des Einsatzes von Pestiziden um 50 %.
- Große, transnationale Unternehmen und Finanzinstitute müssen künftig die Risiken, Abhängigkeiten und Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeiten, Liefer- und Wertschöpfungsketten auf die Biodiversität im Blick behalten, bewerten und transparent offenlegen.
- Die Rolle der indigenen Bevölkerung beim Naturschutz wurde offiziell anerkannt.
Was können Unternehmen von der COP15 mitnehmen?
+ Die Geschäftswelt hat sich für die Natur eingesetzt, doch die Nachverfolgbarkeit muss besser werden
Unternehmen haben bei der COP15 eine starke Präsenz gezeigt (über 30-mal mehr als bei der vorherigen COP14!), wobei die Mehrheit der geschätzt über 1.000 Organisationen erstmals an einer Diskussion zum Thema Biodiversität teilgenommen hat. Kering und L’Occitane haben mit ihrem gemeinsamen Start des Climate Fund for Nature für Gesprächsstoff gesorgt. Die Verhandlungsführer waren erstaunt darüber, wie leidenschaftlich viele Beteiligte für eine verpflichtende Nachverfolgung der Naturschutzbemühungen argumentiert haben.
Ziel Nr. 15 wird starke Auswirkungen auf Finanzen und Unternehmen haben, da es Regierungen verpflichtet, Unternehmen (vor allem große, multinationale) und Finanzinstitute dazu anzuhalten und ihnen die Möglichkeiten zu geben, deren Risiko und Abhängigkeit im Bereich Biodiversität zu prüfen und offenzulegen sowie Verbrauchern Informationen zu nachhaltigem Konsum bereitzustellen.
Veränderungen dieser Art lassen sich bereits beobachten. So hat das International Sustainability Standards Board (ISSB) bereits beschlossen, die Natur in seine Offenlegungsstandards einzubinden, und auch die finalen Versionen der Taskforce for Nature-related Financial Disclosures (TNFD) und Science Based Target Network (SBTN) im nächsten Jahr werden diese Richtung einschlagen.
Die breite Akzeptanz der Offenlegungspflichten ist ein positives Ergebnis, doch es reicht noch lange nicht aus. Unternehmen müssen Aktionspläne erstellen, in denen sie zeigen, wie sie kurz-, mittel- und langfristig ihre Auswirkungen auf die Natur und die Berichterstattung dazu in Angriff nehmen wollen.
+ „Nature Positive“ bleibt ein wichtiger Slogan, aber es fehlt eine wissenschaftliche Definition
Unternehmen erwarten Richtlinien und klare Vorgaben, wie sie den Schaden an der Natur angehen sollen. Der Gedanke, dass „Nature Positive“ dazu beiträgt, den Verlust von Arten und Natur mit jeder Geschäftsentscheidung aufzuhalten und umzukehren, spielt weiterhin eine entscheidende Rolle.
Doch es müssen auf diese Aussagen auch Taten folgen, die „Nature Positive“ in klare Metriken und Ziele fassen, um Missbrauch und Greenwashing zu vermeiden. Die Geschäftswelt hat die Gelegenheit, diesem Slogan Bedeutung zu verleihen und ihn zu einem ambitionierten, wissenschaftlich fundierten Ziel werden zu lassen.
+ Verschiedene COP15-Ziele werden den Sektor der schnelllebigen Konsumprodukte beeinflussen
Die Landwirtschaft hat die größten Auswirkungen auf Änderungen der Landnutzung und den Abbau natürlicher Ökosysteme, weshalb sie im Fokus diverser Ziele der GBF steht. Einige der Ziele erfordern voraussichtlich einen starken Einsatz der Lebensmittel- und Getränkeindustrie sowie der Mode- und Sportartikelbranche, etwa das Wiederherstellen von 30 % der ausgeschöpften Ökosysteme bis 2030, oder dafür zu sorgen, dass bis dahin 30 % der Erdoberfläche unter Schutz gestellt werden – sowie verschiedene weitere Ziele. Andere erwähnenswerte Ziele haben die Luftverschmutzung (Reduzierung von Umweltverschmutzung sowie Risiken durch Pestizide und hochgefährliche Chemikalien), das Nachhaltigkeitsmanagement in der Landwirtschaft sowie den nachhaltigen Verbrauch und die Entsorgung im Blick.
Der Kosmetik- und Körperpflegesektor ist ebenfalls von den Zielen, die sich auf die Landwirtschaft und Umweltverschmutzung auswirken, betroffen. Hinzu kommen Ziele, die Staatsregierungen verpflichten, die Nutzung, Ernte und den Handel von wilden Arten nachhaltig, sicher und legal zu gestalten – ein Ziel, dass auch die Modebranche vor Herausforderungen stellen wird. Schließlich ist auch das Ziel des „fairen und gleichberechtigten Teilens von Profiten aus der Nutzung genetischer Ressourcen“ für Unternehmen im Körperpflegesektor relevant, wenn sie Stoffe einsetzen, die aus biologischen Quellen stammen.
+ Um die Bedürfnisse des Planeten zu erfüllen, ist eine tiefgreifende Transformation erforderlich
Während für den Klimaschutz eindeutige Aktionspläne ins Leben gerufen werden, dürfen die Unternehmen auch die Biodiversität nicht außer Acht lassen. Ohne den Schutz der Natur gibt es kein Pariser Klimaabkommen. Unternehmen müssen zuallererst ihre Auswirkungen, Abhängigkeiten und Risiken im Zusammenhang mit Biodiversität verstehen, und anschließend wissenschaftsbasierte Pläne und Initiativen entwickeln, um im Rahmen der SBTN und TNFD ihre negativen Auswirkungen zu verringern. Biodiversität muss bei der Bewältigung der planetaren Krise die gleiche Priorität einnehmen. Denn sie hat Einfluss auf alles –von Arbeitsplätzen bis hin zum Bruttoinlandsprodukt, auf Gesundheit und Lebensmittelsicherheit sowie den Klimawandel und vieles mehr.
Die Kooperation zwischen den Staaten trägt dabei entscheidend zum Erfolg bei. Ganze Branchen müssen sich der Herausforderung stellen, wenn sie negative Konsequenzen vermeiden wollen. Dies erfordert einen fundamentalen Wandel bei Konsum und Produktion. Und auch wenn einige Unternehmen bereits Pilotprojekte ins Leben rufen und die Kreislaufwirtschaft in ihren Betrieben einführen, muss dies in viel größerem Umfang geschehen.
Es wird in den kommenden Monaten entscheidend sein, auf dem Momentum der COP15 aufzubauen. Die Einbeziehung von 30×30 in ein neues globales Biodiversitäts-Rahmenwerk ist zwar ein Fortschritt, doch die Wissenschaft sagt auch, dass wir mehr als 30, eher 44 % der Landflächen, schützen müssen, wenn wir die Biodiversität und Ökosysteme schützen wollen.
Während Regierungen den Naturschutz in Gesetzesform gießen, ist der Wandel nun unvermeidlich. Allerdings läuft uns auch die Zeit davon. Indem Unternehmen heute Maßnahmen für den Naturschutz ergreifen, sorgen sie langfristig für Stabilität und tragen zur Bewältigung der planetaren Krise bei.