Zusammenfassung:
- Die globale Lebensmittel- und Getränkeindustrie steht vor beispiellosen Herausforderungen getrieben von einer Kombination aus Umweltschocks, globalen Gesundheitskrisen, Handelsproblemen, geopolitischen Spannungen und den Schwierigkeiten langfristiger Planung
- Der Aufbau resilienter und nachhaltiger Lieferketten ist entscheidend, um die langfristige Leistungsfähigkeit angesichts dieser Herausforderungen zu sichern
- Während Unternehmen kurzfristig Kosten und Effizienz in den Vordergrund stellen möchten, kann eine frühzeitige Investition in Resilienz zukünftige Risiken mindern und zu mittel- und langfristigen Einsparungen führen.
- Trotz verfügbarer Modelle und Frühwarnsysteme sind viele Unternehmen nicht ausreichend auf Störungen vorbereitet. Eine vorausschauende Risikoanalyse und frühes Handeln sind entscheidend, um teure Ausfälle zu vermeiden.
- Beschaffung spielt eine zentrale Rolle dabei, Nachhaltigkeit und Resilienz in Lieferantenpartnerschaften und die langfristige Planung zu verankern.
- Chancen liegen in einem umfassenden Risikomanagement, in Rückverfolgbarkeit und in der Fähigkeit, die Kostenfolgen von Umweltauswirkungen und nachhaltigen Praktiken in die Finanzplanung einzubeziehen.
- Der Artikel beschreibt sieben strategische Hebel, darunter regenerative Landwirtschaft, Innovation, Diversifizierung und Zusammenarbeit, mit denen Unternehmen Lieferketten aufbauen können, die künftigen Belastungen standhalten.
Die globale Lebensmittel- und Getränkeindustrie bewegt sich in einem komplexen Geflecht von Lieferketten. Jedes Produkt durchläuft Händler, Rohstoffmärkte, Hersteller, Distributoren, Transportnetzwerke oder direkte Zulieferer. Ein nahezu vielschichtiges Netzwerk von Akteuren sorgt gemeinsam dafür, dass die Waren vom Feld bis auf den Teller gelangen. Auch wenn sie auf den ersten Blick wie eine gut geölte Maschine wirkt, steht die Lieferkette vor beispiellosen Herausforderungen, die ihre Stabilität und damit ihre Fähigkeit, unsere Ernährung zuverlässig zu sichern, gefährden. In den vergangenen Jahren ist die Prekarität der Lebensmittelversorgungsketten immer deutlicher geworden, getrieben von einer Kombination aus Umweltschocks, globalen Gesundheitskrisen, Handelsproblemen, geopolitischen Spannungen und den Schwierigkeiten langfristiger Planung. Von globalen Ereignissen wie der Corona-Pandemie und dem Russland-Ukraine-Krieg bis hin zu regionalen Krisen wie Hitzewellen in Europa oder Dürren im Nahen Osten haben diese Störungen den dringenden Bedarf an Resilienz deutlich gemacht.

Störungen in den globalen Lieferketten
Lebensmittel- und Getränkeunternehmen, die global agieren, können bei Unterbrechungen in ihrer Lieferkette meist auf alternative Bezugsquellen ausweichen. Diese Flexibilität ist jedoch nicht immer möglich, da die Auswirkungen der Klimakrise immer unvorhersehbarer sind. Die geografische Konzentration vieler Rohstoffe – insbesondere solcher aus Regionen, die besonders anfällig für die Folgen des Klimawandels sind – verschärft diese Schwachstellen weiter.
Rohstoffe, die häufig aus dem Globalen Süden oder aus Regionen nahe dem Äquator stammen wie Kaffee, Kakao und Zucker, sind überproportional von der Klimakrise betroffen. Im Jahr 2024 erlebte Brasilien, der weltweit größte Kaffeeproduzent, die schlimmste Dürre seit Jahrzehnten, wodurch die Preise für verschiedene Kaffeesorten um 55 % stiegen. Die Kakaopreise stiegen im Verlauf des Jahres 2024 um 168 %, bedingt vor allem durch ein Angebotsdefizit aufgrund schlechter Witterungsbedingungen in den wichtigsten Anbauregionen.
Umweltkrisen und geopolitische Spannungen hängen miteinander zusammen und verstärken die Komplexität der Lieferketten. Stellen Sie sich ein Netzwerk aus miteinander verbundenen Knoten vor: Während das System den Ausfall eines einzelnen Knotens tragen könnte, bricht es zusammen, wenn mehrere Knoten gleichzeitig Störungen erleben. Der Russland-Ukraine-Krieg beeinflusste beispielsweise die Weizenexporte zu einem Moment, als Wetterereignisse bereits die Jahresernte weltweit einschränkten, was zu stark steigenden Preisen und größerer Ernährungsunsicherheit führte.

Während Unternehmen sich an kleinere Störungen mit traditionellen Risikomanagementstrategien anpassen, erweisen sich diese als unzureichend, wenn große Ereignisse wie Pandemien, Konflikte und Umweltkrisen gleichzeitig auftreten. Die Persistenz und Verknüpfung dieser Störungen testet die Resilienz einer globalisierten Branche, die lange auf kurzfristige Anpassungen wie die Beschaffung aus alternativen Regionen setzt.
Resilienz mit Kosteneffizienz und Wirtschaftlichkeit in Einklang bringen
Wie können Unternehmen Resilienz mit dem ständigen Streben nach Effizienz vereinbaren, das hohe Gewinne bei geringen Margen bringt? Dies könnte die Milliardenfrage für Lebensmittelunternehmen sein, die nachhaltige und widerstandsfähige Lieferketten aufbauen wollen. Während kurzfristige Marktreaktionen und Kostenüberlegungen oft die Entscheidungen dominieren, müssen Unternehmen erkennen, dass Investitionen in die Resilienz der Lieferkette heute der einzige Weg sind, langfristiges Überleben angesichts von Umweltstörungen und Unsicherheiten zu sichern.
Darüber hinaus ist die Umweltkrise bereits Realität, und Unternehmen tragen die Folgen extremer Klimaereignisse, ohne ausreichend darauf vorbereitet zu sein. In Westafrika beispielsweise haben unregelmäßige Niederschläge, Krankheitsdruck und extreme Wetterbedingungen die Kakaoproduktion in einer Region, die für über 60 % der weltweiten Versorgung verantwortlich ist, erheblich reduziert, was zu einem globalen Engpass und zu Rekordpreisen geführt hat. Wenn Frühwarnsignale übersehen werden, bleiben Unternehmen darauf beschränkt, auf Störungen zu reagieren, statt ihnen zuvorzukommen.
Die Vernachlässigung von Resilienz und Vorsorge verursacht bereits erhebliche Kosten. Diese können sich in Zukunft noch vervielfachen, einschließlich Zusammenbrüche der Lieferkette, Produktengpässen, Reputationsschäden und entgangenen Einnahmen. Die Finanzplanung spielt bei diesem Gleichgewicht eine entscheidende Rolle, da Unternehmen unmittelbare Einsparungen gegen die potenziellen langfristigen Kosten der Untätigkeit abwägen müssen. Zwar erfordern Investitionen in Resilienz anfangs erhebliche Ausgaben, doch sie zahlen sich langfristig aus, indem sie zukünftige Risiken mindern, die Widerstandsfähigkeit von Agrar- und Lebensmittelsystemen stärken und so über die Zeit Kosten reduzieren. Einige Versicherungsunternehmen bieten sogar spezielle Produkte an, die Anpassungsmaßnahmen fördern und Unternehmen zu weiterem proaktivem Handeln motivieren.
Durch den Aufbau einer robusteren und anpassungsfähigeren Lieferkette können Unternehmen ihre operative Effizienz steigern, die Produktqualität verbessern, Preisfluktuationen bis zu einem gewissen Grad antizipieren und stärkere Beziehungen zu Lieferanten und Kunden aufbauen. Diese Vorteile verschaffen einen Wettbewerbsvorteil und positionieren Unternehmen für langfristigen Erfolg sowie nachhaltige Entwicklung.
7 Eigenschaften von einer resilienten, nachhaltigen Lieferkette
Mit Zeit und Erfahrung haben wir 7 Maßnahmen identifiziert die resiliente Lieferketten machen. Diese lassen sich in zwei Kategorien einteilen: greifbare Hebel wie nachhaltige Landwirtschaft und Portfolio-Diversifizierung sowie prozessorientierte Ansätze wie Inklusivität und Zusammenarbeit. Diese Maßnahmen lassen sich an die vielfältigen Herausforderungen anpassen, denen Nutzpflanzen ausgesetzt sind – von klimatischer Volatilität über genetische Gleichförmigkeit bis hin zu konzentrierter Produktion – und bieten in vielen Fällen eine Win-Win-Situation für Landwirt und Unternehmen
- Integrierte Strategie: Beschaffungsteams spielen eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung von Strategien, die Umweltauswirkungen reduzieren und langfristige Resilienz aufbauen. Beginnen Sie damit, einen Ansatz zu entwickeln, der sowohl Minderung als auch Anpassung berücksichtigt – die Emissionen in der Lieferkette und den Druck auf die Natur zu verringern und gleichzeitig auf die Folgen des Klimawandels vorbereitet zu sein. So lassen sich die kurzfristigen Herausforderungen der Nachhaltigkeit mit Lösungen angehen, die langfristig Renditen bringen. Durch die Integration ganzheitlicher Nachhaltigkeitsaspekte in Beschaffungsentscheidungen können Unternehmen die komplexen Wechselwirkungen innerhalb ihrer Lieferketten besser verstehen und umfassende Lösungen entwickeln, die mehrere Herausforderungen gleichzeitig adressieren.
- Inklusivität: Klare Mechanismen feststellen für Feedback und Kommunikation in jedem Schritt der Lieferkette, um, Zusammenarbeit und Verantwortung zu fördern. Die Einbeziehung unterschiedlicher Perspektiven und Stimmen in Entscheidungsprozesse der Lieferkette erhöht die Wahrscheinlichkeit, potenzielle Risiken und Chancen frühzeitig zu erkennen, und führt zu effektiveren Strategien für Risikomanagement and Schadensminderung..
- Anpassungsfähigkeit: Unternehmen sollten Agilität in ihre Abläufe einbauen, indem sie sich darauf vorbereiten, bei Störungen auf alternative Zutaten, Lieferanten oder Regionen auszuweichen. Sie sollten Innovationen durch neue Rezepte und Produkte fördern – zum Beispiel Palmöl gezielt durch Rapsöl ersetzen –, um die Betriebsabläufe auch in Krisenzeiten aufrechtzuerhalten. Auf diese Weise können Unternehmen Risiken reduzieren, die Auswirkungen von Schocks mindern und die operative Resilienz stärken.
- Zusammenarbeit: In der heutigen Zeit ökologischer und geopolitischer Herausforderungen kann isoliertes Arbeiten ernsthafte Risiken für die Geschäftskontinuität bergen. Unternehmen sollten daher, wo es sinnvoll und rechtlich zulässig ist, Möglichkeiten zur Zusammenarbeit – gegebenenfalls auch mit Wettbewerbern – prüfen, um Ressourcen zu bündeln, Wissen zu teilen und gemeinsame Herausforderungen, wie beispielsweise Dürren in einem gemeinsamen Einzugsgebiet, gemeinsam anzugehen. Präwettbewerbliche Initiativen, öffentlich-private Partnerschaften, Kooperationen entlang der Lieferkette und andere gemeinsame Projekte können erhebliche Vorteile bei der Bewältigung von Klima-, Wasser- und Biodiversitätsproblemen bringen und insgesamt zu einem widerstandsfähigeren Lebensmittelsystem beitragen. Zusammenarbeit etabliert Best Practices, stärkt die Resilienz der Lieferketten, fördert Innovationen und erschließt neue Marktchancen. Zudem ermöglicht sie eine effektivere Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen. Eine branchenübergreifende Koordination kann zudem neue Finanzierungsmechanismen und technischen Support erschließen, damit Kleinbauern adaptive Technologien übernehmen können.
- Nachhaltige Landwirtschaft: Unternehmen sollten Landwirte dabei unterstützen, vielfältige regenerative Anbaumethoden einzuführen. Dadurch wird die Resilienz von Ökosystemen gestärkt. Ein Beispiel ist der Verzicht auf Monokulturen. Milchviehbetriebe könnten beispielsweise wieder Kühe in Apfelplantagen grasen lassen, wie es früher üblich war. Die Bäume liefern sowohl Früchte zum Verkauf als auch zusätzliches Futter für das Vieh. Diversifizierte Landwirtschaftssysteme sind nicht nur widerstandsfähiger gegenüber Schädlingen, Krankheiten und extremen Wetterereignissen, sondern verbessern auch die Bodenqualität, die Wasserspeicherung, die Biodiversität und andere Ökosystemleistungen. Gleichzeitig werden wirtschaftliche Ressourcen für die Landwirte geschaffen. Unternehmen können auf finanzieller Ebene unterstützen und gemeinsam mit den Landwirten Strategien auf Betriebsebene entwickeln, um Risiken zu mindern.
- Innovation und Technologie: Unternehmen sollten auf aufkommende Werkzeuge und Technologien wie Künstliche Intelligenz (KI) und Fernerkundung in Kombination mit geospatialer Analyse setzen, um die Resilienz der Lieferketten weiter zu steigern. KI bietet beispiellose Möglichkeiten in der Datenanalyse und im Predictive Modeling. Dadurch können Unternehmen und Landwirte Risiken frühzeitig erkennen und proaktiv mindern. Die Kombination aus Satellitenbildern, Bodensensoren und maschinellem Lernen unterstützt die Präzisionslandwirtschaft, verbessert die Rückverfolgbarkeit und ermöglicht eine frühere Identifizierung klimabedingter Bedrohungen. Innovation umfasst zudem Forschung und Entwicklung im Bereich ertragreicher und stressresistenter Saatgutvarianten.
- Portfolio-Diversifizierung: Unternehmen sollten ihre Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen verringern, indem sie ihre Risiken auf verschiedene Produkte, Märkte und Geschäftsbereiche verteilen. So lassen sich Lieferkettenrisiken ausgleichen, die durch die Abhängigkeit von bestimmten Rohstoffen oder Regionen entstehen. Zudem wird die Anfälligkeit gegenüber externen Schocks, wie klimabedingten Ernteausfällen oder Handelsstörungen, reduziert und somit die Resilienz und Stabilität erhöht. Ein aktuelles Beispiel sind Schokoladenhersteller, die vegane Rezepte und Produkte entwickeln. In vielen Fällen bedeutet dies, Rezepte so zu gestalten, dass risikoreiche oder ressourcenintensive Zutaten durch nachhaltigere und widerstandsfähigere Alternativen ersetzt werden, ohne dass Geschmack oder Qualität beeinträchtigt werden.

Investitionen in nachhaltige Lieferketten für eine widerstandsfähige Zukunft
Mit einem ganzheitlichen Ansatz im Risikomanagement, Investitionen in Innovationen und der Förderung von Zusammenarbeit entlang der Lieferkette können Unternehmen die Komplexität der heutigen, sich wandelnden Geschäftswelt mit Zuversicht und Agilität meistern. Der Business Case für Investitionen in die Resilienz von Lieferketten ist eindeutig: Unternehmen, die jetzt handeln, sichern sich mittelfristig eine geringere Volatilität und langfristig eine Geschäftskontinuität sowie einen Wettbewerbsvorteil. Damit gewährleisten sie eine verlässlichere Lebensmittelversorgung in einer zunehmend unsicheren, aber weiterhin hungrigen Welt.

