Anstatt einfach zu behaupten, naturpositiv zu sein, sollten sich Unternehmen aufs Handeln konzentrieren. Um zu einem Unternehmen zu werden, das die Natur unterstützt, braucht es ambitionierte, wissenschaftlich basierte Taten, und zwar jetzt und auf lange Sicht.
Zusammenfassung:
- Der Gedanke der „Nature Positivity“ steht immer mehr im Mittelpunkt und viele Unternehmen rühmen sich damit, netto-positiv zu sein.
- Aber aus eigener Kraft ist es für Unternehmen fast unmöglich, naturpositiv zu werden. Ohne feste Definitionen, Richtlinien und Messwerte der Umweltauswirkungen sind solche Behauptungen oft irreführend.
- Unternehmen werden vermutlich niemals zu naturpositiven Akteuren. Sie haben jedoch die Gelegenheit, zu einer naturpositiven Welt beizutragen, indem sie wissenschaftliche Maßnahmen umsetzen und Pfade beschreiten, die im Einklang mit der Reduktionsstrategie „vermeiden – reduzieren – erneuern – transformieren“ stehen.
- Damit dies für die ganze Natur (nicht nur das Klima) gelingt, muss auch mit anderen Akteuren zusammengearbeitet werden.
- Es bedeutet auch, Produktionsprozesse oder Geschäftsmodelle zu transformieren, um die Geschäftsaktivitäten vom Verbrauch natürlicher Ressourcen zu entkoppeln.
- Zudem sollten Unternehmen ihre naturfördernden Ziele und Maßnahmen, den bisherigen Fortschritt sowie die künftigen Herausforderungen transparent kommunizieren.
Alle reden davon, naturpositiv zu werden. Das Rennen zur Umkehr des Biodiversitätsverlusts und des Verfalls der Umwelt hat begonnen! Aktuell verbrauchen wir mindestens 75 % zu viel an planetaren Ressourcen. In den letzten 50 Jahren ist der Bestand an wild lebenden Tieren um fast 70 % zurückgegangen und unsere natürlichen Ökosysteme im Schnitt um 47 %.
Die Vision für einen positiven Umgang mit der Natur ist eindeutig: Wir müssen eine Welt schaffen, in der der zukünftige Zustand der Natur – einschließlich Biodiversität, Ökosysteme und natürliches Kapital – besser ist als heute.
Zahlreiche Unternehmen wollen sich dieser Herausforderung stellen und verpflichten sich, naturpositiv zu werden. Der Finance for Biodiversity Pledge wurde mittlerweile von 126 Organisationen unterzeichnet, die alle beabsichtigen, sich Ziele zur Reduktion ihrer Auswirkungen auf die Umwelt zu setzen. Bei der COP26 haben fast 100 Unternehmen versprochen, die Zerstörung der Natur bis 2030 zu beenden und umzukehren.
Solche Schritte wurden über die letzten zwei Jahre von vielen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsträgern verkündet, während die G7 erklärten, dass unsere Erde nicht nur emissionsfrei, sondern auch naturpositiv werden soll. Beim letzten Weltwirtschaftsforum in Davos hat sich eine ganze Sitzung dem Thema der „naturpositiven Wirtschaft“ gewidmet. Die Europäische Kommission gibt an, Pionier naturpositiver Handlungen werden zu wollen. Das von ihr vorgeschlagene Gesetz zur Wiederherstellung der Natur verspricht, ein Schlüssel zur Vermeidung eines Zusammenbruchs der Ökosysteme zu werden und die schlimmsten Auswirkungen der Biodiversitätsverluste zu verhindern.
Net Zero für die Biodiversität
Zahlreiche Initiativen hatten das Anliegen, ein allgemeines Ziel festzulegen, mit dem Unternehmen die Zerstörung der Natur vermeiden sollen. Wie Marco Lambertini, Generaldirektor des WWF International, einräumt, war es fast schon eine „Obsession“, ein Ziel für die Natur festzulegen, dass null Emissionen vorgibt.
Mit diesem Rahmenwerk zur globalen Biodiversität, das nach langen Verhandlungen bei der COP15 als Meilenstein und eine Art „Paris-Moment“ vereinbart wurde, müssen nun auch die globalen Verordnungen Schritt halten. Es umfasst zwei 30×30-Ziele, die den Ländern dieser Erde auferlegen, Maßnahmen zu ergreifen, die bis 2030 30 % der Landmasse, 30 % der Binnengewässer und 30 % der Meere unter Schutz stellen und bis 2030 30 % des Süßwassers sowie der Ökosysteme an Land und im Meer wiederherstellen, die der Umweltzerstörung zum Opfer gefallen sind. Dabei ist es entscheidend, dass Unternehmen und Investoren ihre Beziehungen, Auswirkungen und Abhängigkeiten in Bezug auf Biodiversität und Natur melden und kontrollieren müssen.
Währenddessen blicken Führungskräfte auf Rahmenwerke des Science Based Targets Network (SBTN) und der Taskforce on Nature-related Financial Disclosure, um Anleitung und Führung bei ihren Bemühungen zum Schutz der Biodiversität zu erhalten. Das SBTN hat Zwischenziele identifiziert, die sich Unternehmen heute setzen können, und dafür das Action Framework (AR3T): vermeiden, reduzieren, regenerieren, erneuern und transformieren – basierend auf den bekannten Hierarchien für Vermeidung und Erhalt – vorgestellt, sodass Unternehmen Pläne für die Reduktion ihrer Auswirkung auf die Biodiversität erstellen können. Aktuell entwickelt es Methoden, die Ziele für alle Umweltaspekte setzen, wobei schon 2023 Vorgehen für die Ziele zu Süßwasser und Schutz der Landfläche erwartet werden. Zudem wird das International Sustainability Standards Board (ISSB) 2023 seinen Fokus um ein Biodiversitäts-Reporting für Unternehmen erweitern.
Mangel an Definitionen und Anleitungen
Doch auch wenn die „Nature Positive“-Ziele das Zeug haben, Unternehmen wirklich zu mobilisieren und zum Handeln zu motivieren, fehlen dem Konzept klare Definitionen, was dessen Auslegung erschwert. Auch die Regeln, wie Nature Positivity in der Praxis gelebt werden soll, sind wenig eindeutig.
Es wird weiter daran gearbeitet, Klarheit und Definitionen zu entwickeln, aber es ist noch ein langer Weg. Laut Studien sind in den meisten Definitionen, die von Organisationen verwendet werden, zwar eine Umkehr des Biodiversitätsverlusts und der Wiederaufbau der Natur enthalten, „naturpositiv“ wird jedoch verschieden interpretiert. Allerdings gibt es einen allgemeinen Konsens, dass „Nature Positivity“ mit der Vermeidungshierarchie „vermeiden – reduzieren – erneuern/regenerieren“ beginnt.
Leider führt das Fehlen einer allgemeinen und leicht verständlichen Definition des Standards dazu, dass Behauptungen seitens Unternehmen, naturpositiv zu sein oder zu werden, irreführend sein können. Zudem besteht das Risiko, dass der Begriff bedeutungslos oder Greenwashing-Vorwürfen ausgesetzt wird.
Eine Überprüfung von 400 globalen Unternehmen durch die World Benchmarking Alliance hat ergeben, dass nur 5 % wirklich verstehen, welchen Einfluss sie auf die Natur haben. Eine weitere Studie des UN-Umweltprogramms hebt die große Finanzierungslücke hervor, die geschlossen werden muss, wenn Unternehmen den Verlust an Biodiversität ernsthaft angehen möchten. Die Organisation schlägt vor, dass die Förderung für die Natur bis 2025 auf 384 Mrd. USD steigen soll – mehr als doppelt so viel wie aktuell.
Laut Professor Jan Bebbington, Direktor des Pentland Centre for Sustainability in Business an der Lancaster University, haben „viele Unternehmen die Wesentlichkeit dessen, warum das Klima für sie wichtig ist, verdoppelt, dies aber nicht auf die Biodiversität angewendet“.
„Ja, natürlich ist der Klimawandel einer der Haupttreiber des Biodiversitätsverlusts“, fügt sie hinzu. Aber es gebe noch weitere Faktoren für die Artenvielfalt, die Unternehmen berücksichtigen müssen. Und wenn Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels im Vakuum durchgeführt werden, kann dies unbeabsichtigte negative Folgen für die natürlichen Ökosysteme haben. „Unternehmen, die von der Natur abhängen, sollten konsequenterweise eine klimafreundliche Strategie umsetzen. Allerdings führt eine Klimastrategie nicht zwangsläufig zu mehr Biodiversität. Das legt nahe, dass man das Geschäft hauptsächlich von der Warte der Biodiversität aus betrachten sollte“.
“Unternehmen, die von der Natur abhängen, sollten konsequenterweise eine klimafreundliche Strategie umsetzen. Allerdings führt eine Klimastrategie nicht zwangsläufig zu mehr Biodiversität. Das legt nahe, dass man das Geschäft hauptsächlich von der Warte der Biodiversität aus betrachten sollte.”
Das Recht auf Zerstörung von Ökosystemen
Es besteht aber auch die Sorge, dass der Gedanke der Nature Positivity die Natur kommerzialisiert, wenn Kompensationssysteme Unternehmen das Recht geben, Ökosysteme in einigen Regionen zu vernichten, solange dafür in anderen darauf verzichtet wird. Um den Klimawandel zu bekämpfen, sind CO2-Märkte bisher nicht der richtige Weg, da sie ein Recht auf Verschmutzung einräumen. Wenn wir für den Umweltschutz ein ähnliches Modell einführen, wird auch dieses Ergebnis ähnlich ausfallen. Aber im Gegensatz zu Treibhausgasemissionen, die mit einfachen Metriken gemessen werden können (CO2-Äquivalente), basiert Nature Positivity auf einer Illusion von Substitution – so könnte zum Beispiel ein Wald einen anderen ersetzen. Hinzu kommt, dass Herausforderungen im Zusammenhang mit der Natur sehr ortsabhängig sind, sodass jede Kompensation nicht nur Aussicht auf langfristigen Erfolg haben soll, sondern auch dort stattfinden müsste, wo der Schaden entstanden ist, oder zumindest in einem ähnlichen Ökosystem (und zudem anderen Kriterien erfüllen müsste, die im Rahmenwerk der OP2B für Regenerierungsmaßnahmen dargestellt werden).
Und auch wenn das Erreichen eines naturpositiven Zustands „mehr Natur“ impliziert, sagt es noch nichts über die Qualität der Biodiversität aus und ignoriert generell die Komplexität von Ökosystemen und die Art, wie sie funktionieren. Dies wirft viele Fragen auf, nicht zuletzt, wie viel mehr Natur wir brauchen, um einen „positiven“ Zustand zu erzielen. Wie viel Natur trägt zur Wiederherstellung und Regeneration bei? Das kann bisher noch nicht wissenschaftlich ermittelt werden und es gibt weder eine Einheit, um die Biodiversität zu messen, noch ein Verständnis dafür, wie so etwas aussehen könnte.
Unternehmen können zu einer naturpositiven Welt beitragen
Auf Unternehmensebene naturpositiv zu werden, ist beinahe unmöglich – vor allem, wenn die gesamte Wertschöpfungskette betrachtet wird. Das liegt daran, dass der Kampf für mehr Biodiversität und gegen den Verlust von Ökosystemen ein gemeinsames Unterfangen ist, das weit über das Pflanzen einer Wildblumenwiese oder das Anbieten eines vegetarischen Menüs hinausgeht. Er erfordert umfassende, komplexe systemische Veränderungen.
Daher sollten Aussagen zu Nature Positivity, die nicht belegt werden können, unbedingt vermieden werden. Unternehmen müssen gründlich abwägen, was sie rechtmäßig in Bezug darauf behaupten können.
Und anstatt einfach zu behaupten, naturpositiv zu sein, sollten sie sich aufs Handeln konzentrieren – also wie sie zu einer naturpositiven Welt beitragen können, indem sie die spezifischen Handlungen und naturschützenden Maßnahmen vermitteln, die sie implementiert haben, um ihre Auswirkung auf die Natur zu verringern, sie wiederaufzubauen und den Verlust von Arten umzukehren.
Um zu einem Unternehmen zu werden, das die Natur unterstützt, braucht es ambitionierte, wissenschaftlich basierte Taten, und zwar jetzt und auf lange Sicht. Die unter Ihnen, die das noch nicht umgesetzt haben, könnten in Erwägung ziehen, Pfade zu beschreiten, die die Natur unterstützen, um so ein gemeinsames, einheitliches Unternehmensziel für den richtigen Umgang mit der Natur zu setzen. Dies erfordert:
- die Zusammenarbeit mit anderen Akteuren in Ihrer Branche und darüber hinaus über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg;
- ein Erfassen des gesamten Umfangs der Natur (nicht nur des Klimas) und Ihrer materiellen Auswirkungen darauf;
- eine bessere Abstimmung Ihrer Aktionen für Natur- und Klimaschutz, um von Synergien zu profitieren und um Klimamaßnahmen zu vermeiden, die der Natur schaden können (z. B. das Abholzen von Flächen, um dort Solarenergie zu erzeugen, oder ein Umstieg auf Biokraftstoff, was Auswirkungen auf die Landnutzung, Wasserressourcen und Luftqualität hat);
- die Transformation Ihrer Produktionsprozesse oder Geschäftsmodelle, um geschäftliches Wachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln;
- das Vermeiden neuer negativer Auswirkungen;
- die Reduzierung aktueller negativer Auswirkungen;
- die Wiederherstellung dessen, was Ihr Unternehmen bereits zerstört hat;
- ein Ergänzen dieser Handlungen durch zusätzliche erhaltende und erneuernde Maßnahmen;
- das Setzen spezifischer Zwischenziele für 2030, um Klarheit über Ihre Ambitionen und die erforderlichen Handlungen zu schaffen;
- Ihren aktuellen Zustand, die Ziele und Handlungen und die Herausforderungen, die Ihnen noch im Wege stehen, transparent zu kommunizieren. Sorgen Sie dafür, dass Ihre Kommunikation spezifisch (heben Sie die Felder hervor, auf die Sie sich beziehen), messbar (liefern Sie wissenschaftliche Daten), relevant (konzentrieren Sie sich auf Bereiche, die zählen) und verständlich ist (auch für Ihre Kunden).
Auch wenn Unternehmen vielleicht nie wirklich naturpositiv werden, so haben sie doch die Gelegenheit, zu einer naturpositiven Welt beizutragen, die regenerativer ist und schonender behandelt wird, und ihren Betrieb und ihre Lieferketten langfristig widerstandsfähiger zu gestalten.
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