Unternehmen, die mit einem CO₂-Tunnelblick agieren, übersehen wichtige Möglichkeiten zur Wertschöpfung sowie kurz- und langfristige Risiken.
Zusammenfassung:
- Die Auswirkungen unternehmerischer Geschäftstätigkeit gehen über das Klima hinaus und viele Unternehmen sind bei der Beschaffung von Rohstoffen und der Erbringung von Ökosystemleistungen von weiteren Erdsystemen abhängig.
- Klima, biologische Vielfalt und Wasser sowie andere ökologische Herausforderungen können nicht isoliert behandelt werden.
- Unternehmen, die sich nur auf Klima fokussieren, ignorieren weitere umweltbezogenen Auswirkungen und Abhängigkeiten – Das Rahmenwerk der planetaren Grenzen erlaubt es Unternehmen über den Tellerrand hinauszuschauen, ihre Exposition gegenüber naturbedingten Risiken zu bewerten und Adaptionsstrategien zu entwickeln.
- Der Ansatz planetarer Grenzen kann Unternehmen dabei helfen, Probleme anders anzugehen und Innovationen zu fördern.
Umweltrisiken beschränken sich bei weitem nicht nur auf den Klimawandel. Unternehmen sind zunehmend angehalten, ein breites Spektrum an umweltrelevanten Risiken zu melden und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Diese Risiken kommen einem wirtschaftlichen Wert von 44 Billionen US-Dollar gleich, was etwa der Hälfte des weltweiten BIP entspricht. Die Zerstörung und Beeinträchtigung der Natur ist nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein wirtschaftliches Problem.
Unternehmen müssen einen ganzheitlicheren Ansatz verfolgen, um umweltbezogene Risiken unter Kontrolle zu bringen und abzumildern und in einer Welt mit begrenzten Ressourcen erfolgreich zu sein. Nur wenn sie ihre Geschäftstätigkeit ausüben, ohne die planetaren Grenzen zu überschreiten, werden sie sich vor umweltbedingten Risiken schützen und Unsicherheiten überwinden können.
CO₂-Tunnelblick lässt die Unternehmen wichtige Risiken übersehen
Der Klimawandel ist zweifellos eine der drängendsten Herausforderungen unserer Zeit. Für Unternehmen birgt er eine Vielzahl von materiellen und finanziellen Risiken sowie Risiken, die mit dem Wandel einhergehen. Viele Unternehmen konzentrieren sich fälschlicherweise beim Versuch, dieses unglaublich komplexe Problem zu lösen, ausschließlich auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen (ein Phänomen, das als „CO₂-Tunnelblick“ bekannt ist).
Unternehmen, die alles auf eine Karte setzen, verpassen wichtige Chancen und unterminieren ihre Fähigkeit, langfristig Werte zu schaffen.
Der Klimawandel ist nur ein Teil des Puzzles. Alle Erdsysteme (Atmo-, Bio-, Hydro-, Kryo-, Litho- und Pedosphäre) beeinflussen sich gegenseitig und sind durch Wechselwirkungen und Regelkreise eng miteinander verbunden; was sich auf eine Sphäre auswirkt, kann auch Auswirkungen auf andere Sphären haben. Der Klimawandel kann Auswirkungen auf die biologische Vielfalt, den Wasserkreislauf usw. haben und umgekehrt.
Die Geschäftstätigkeit der Unternehmen hat jedoch nicht nur Auswirkungen auf das Klima, und viele Unternehmen sind bei der Beschaffung von Rohstoffen und der Erbringung von Ökosystemleistungen auf weitere Erdsysteme angewiesen. Unternehmen, die mit einem CO₂-Tunnelblick an die Sache herangehen, übersehen andere wichtige Auswirkungen auf die Umwelt und damit verbundene Herausforderungen und Risiken für ihre Tätigkeit, die sie ebenfalls adressieren müssen. Ein Lebensmittelunternehmen, das beispielsweise all seine Anstrengungen auf die Verringerung der Treibhausgasemissionen richtet, reduziert zwar seine Auswirkungen auf das Klima, ignoriert aber im Grunde genommen die Probleme, die möglicherweise Auswirkungen auf seine Gewinne haben und Preissteigerungen verursachen. Hier wären zum Beispiel der Verlust von Blütenbestäubern, die Zerstörung von natürlichen Lebensräumen sowie invasive Tierarten und Schädlinge zu nennen. Unternehmen, die dafür sorgen möchten, dass ihre Bemühungen langfristig zu nachhaltigeren Ergebnissen führen, und sicherstellen möchten, dass sie in einer sich verändernden Welt mit neuen Umwelt- und Regulierungsauflagen erfolgreich agieren können, müssen auch diese zusätzlichen Einflussfaktoren berücksichtigen.
Nachhaltigkeitsstrategien, die mit einem CO₂-Tunnelblick entwickelt werden, sind folglich unzureichend. Für eine schnellere Verwirklichung der Umweltziele und zur Minderung der wichtigsten Geschäftsrisiken benötigen die Unternehmen integrierte Strategien, die alle Auswirkungen auf die und Abhängigkeiten von der Natur berücksichtigen.
Planetare Grenzen: die Leitplanken für eine nachhaltige Unternehmenstransformation
Das Konzept der planetaren Grenzen wurde 2009 von einer internationalen Forschergruppe unter der Leitung von Johan Rockström vom Stockholm Resilience Centre entwickelt und bietet Unternehmen einen ganzheitlichen Rahmen, mit dem sie ihre Exposition gegenüber naturbedingten Risiken bewerten und fundierte Entscheidungen treffen können.
Ein sicherer Handlungsspielraum für die Menschheit
Kurz gesagt handelt es sich bei den planetaren Grenzen um wissenschaftsgestützte Leitplanken, die vorgeben, wie menschliche Aktivitäten ohne Überschreitung der Kapazitäten unserer Erde ablaufen können. Ziel ist es, eine Destabilisierung der natürlichen Prozesse, die das empfindliche Gleichgewicht und die Beständigkeit des gesamten Erdsystems regeln, zu vermeiden und das Risiko unumkehrbarer ökologischer Veränderungen zu verringern. Es gibt neun planetare Grenzen: den Klimawandel, die Unversehrtheit der Biosphäre, die Abholzung und andere Landnutzungsänderungen, die Einbringung neuartiger Substanzen und Organismen (z. B. toxische Substanzen), den Süßwasserverbrauch, das Ozonloch in der Stratosphäre, die Partikelverschmutzung der Atmosphäre, die Ozeanversauerung und die biogeochemischen Kreisläufe.
Sechs dieser neun Belastungsgrenzen wurden bereits überschritten: der Klimawandel, die Unversehrtheit der Biosphäre, die Abholzung und andere Landnutzungsänderungen / „grünes Wasser“ (d. h. Niederschlag, Verdunstung und Bodenfeuchtigkeit), biogeochemische Kreisläufe (Stickstoff- und Phosphorkreisläufe) und die Einbringung neuartiger Substanzen und Organismen (Schadstoffe einschließlich Plastik, Pestizide, Industriechemikalien, Antibiotika und andere Arzneimittel). Die beschleunigte Zunahme der Verschmutzung durch Chemikalien und Kunststoffe sowie die Überfischung haben die Meeresökosysteme zusätzlich unter Druck gesetzt und die Fähigkeit der Weltmeere, Kohlenstoff zu binden (die durch die zunehmende Versauerung ohnehin schon eingeschränkt ist), weiter beeinträchtigt, sodass wir kurz davor stehen, die planetare Belastungsgrenze im Hinblick auf die Ozeanversauerung zu überschreiten.
Eine Überschreitung planetarer Grenzen hat weitreichende Folgen und erhöht das Risiko abrupter oder unumkehrbarer Umweltveränderungen in großem Maßstab.
Es reicht bei weitem nicht mehr aus, den Status quo zu verteidigen. Wir müssen lernen, innerhalb der planetaren Grenzen zu handeln. Die Unternehmen stehen in der Pflicht, darüber nachzudenken, wie sich ihre Geschäftstätigkeit auf die einzelnen Belastungsgrenzen auswirkt und inwieweit sie auf die einzelnen Ressourcen angewiesen sind. Wenn sie jetzt bei ihren Plänen für die Übergangsphase und die Geschäftskontinuität keine Rücksicht auf Natur und Klima nehmen, könnten sie sich schließlich in einer misslichen Lage mit erheblichen Risiken wiederfinden und gezwungen sein, ihre Pläne zu überarbeiten.
Intelligenter arbeiten, nicht härter: von Umwelteffizienz zu einem integrierten Ansatz
Für viele Unternehmen bedeutet die Berücksichtigung der planetaren Grenzen bei Nachhaltigkeitsaktivitäten, dass sie ihr Augenmerk und gleichzeitig ihre Ressourcen auf neun verschiedene Themen ausrichten müssen. Das wiederum führt zu einem Mehraufwand und zu höheren Kosten, was vor allem in Unternehmen, in denen das Budget für Nachhaltigkeitsaktivitäten bereits knapp bemessen ist, problematisch sein kann. Dieser weit verbreitete Irrglaube hält Unternehmen davon ab, echte Fortschritte bei der Erreichung von Umweltzielen zu machen, und gefährdet somit die Umsetzung des 1,5-Grad-Ziels.
In Wirklichkeit sind Unternehmen angesichts der planetaren Grenzen aufgefordert, intelligenter zu arbeiten – nicht härter.
Die meisten Unternehmen gehen das Thema Nachhaltigkeit unter dem Gesichtspunkt der „Umwelteffizienz“ an. Sie konzentrieren sich darauf, die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit zu verringern (weniger Schaden anzurichten), und entwickeln Strategien und Maßnahmen auf der Grundlage von messbaren Werten oder leicht zu kommunizierenden Zielen, wie beispielsweise der Reduzierung von X Tonnen CO2 pro Produkt oder der Verringerung des Wasserverbrauchs. Umweltrelevante Themen werden isoliert voneinander behandelt, mit separaten Strategien und Aktionsplänen. Diese Vorgehensweise kann zu Zielkonflikten und unerwünschten Folgeerscheinungen führen: Beispielsweise können Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels die biologische Vielfalt, das Wasser oder die Böden beeinträchtigen – Ressourcen, von denen Unternehmen abhängig sind. Oft werden landwirtschaftliche Betriebe umgesiedelt oder Waldflächen abgeholzt, damit Solaranlagen zur Deckung der Nachfrage nach mehr erneuerbaren Energien errichtet werden können. Es wird also darauf verzichtet, bereits erschlossene oder degradierte Flächen zu nutzen. Durch diese Vorgehensweise wird nicht nur die ursprüngliche Absicht der Maßnahme untergraben, sondern es entstehen auch andere Probleme wie der Verlust der biologischen Vielfalt, Bodenerosionen, Veränderungen des lokalen Klimas und der Wassereinzugsgebiete. Werden diese Zusammenhänge nicht erkannt, hat dies langfristige Auswirkungen auf die Wertschöpfungsketten der Unternehmen.
Das Konzept der planetaren Grenzen zwingt Unternehmen, das große Ganze in den Blick zu nehmen, um Synergien zu finden und Win-Win-Situationen zu schaffen. Unternehmen sollten nicht neun verschiedene Aktionspläne ausarbeiten, sondern einen Gesamtplan, der sich gleichzeitig mit den Themen Klimawandel, biologische Vielfalt, Wassermanagement, Landnutzung und weiteren Aspekten befasst und dabei Zielkonflikte möglichst vermeidet. Und da das Konzept auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht, können Unternehmen fundierte Entscheidungen auf der Grundlage von Notwendigkeiten treffen und müssen nicht nach Gefühl handeln oder darauf schauen, was im Moment interessant erscheint.
Über den Tellerrand hinausschauen: Abhängigkeiten reduzieren, um Resilienz und Innovationen zu fördern
Innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften, bedeutet viel mehr, als nur die Auswirkungen zu reduzieren und zu tun, was das Beste für unsere Erde ist. Es geht darum, die Grundlage dafür zu schaffen, dass Unternehmen auch in Zukunft erfolgreich sein können.
Unternehmen müssen also umdenken: Anstatt nur darüber nachzudenken, wie sie die Auswirkungen ihrer Produkte reduzieren können, sollten sie auch ihren Ressourcenverbrauch im Auge behalten und sich die Frage stellen, auf welche natürlichen Ressourcen und Ökosystemleistungen sie angewiesen sind. Mithilfe dieser Fragen können sie auch die wichtigsten Risikobereiche ermitteln und erkennen, wie sie sich in einer sich verändernden Welt anpassen müssen. Ein gutes Beispiel ist die Ressource Wasser. Alle Unternehmen sind in gewisser Weise auf Wasser angewiesen, da es fast in jeder Phase der Wertschöpfungskette eine zentrale Rolle spielt. Wenn Unternehmen Strategien zum Wassermanagement einführen, die dazu beitragen, ihre Abhängigkeit zu reduzieren, sind sie auch weniger anfällig für umweltbezogene Risiken wie Dürreperioden und temporäre Risiken wie Preissteigerungen.
Die langfristigen Vorteile eines Wirtschaftens innerhalb der planetaren Grenzen liegen auf der Hand. Allerdings sollten auch die unmittelbaren Vorteile eines solchen Ansatzes nicht unterschätzt werden. Wenn ein Unternehmen seinen Beitrag an der Stickstoff- und Phosphorverschmutzung verringert, indem es weniger Düngemittel einsetzt, verringert es auch seine Abhängigkeit von externen Inputs, auf die es wenig Einfluss hat (und reduziert gleichzeitig seine Auswirkungen auf das Klima, das Wasser und die biologische Vielfalt). Sollten also bei einer Energiekrise oder einer hohen Inflation die Kosten für Düngemittel steigen, werden sich seine Betriebskosten weniger stark erhöhen.
Mit dem Konzept der planetaren Grenzen können Unternehmen Probleme anders angehen und so flexibler agieren und neue Möglichkeiten erschließen. Unternehmen sollten diese planetaren Grenzen also nicht länger als Barrieren oder Indikatoren für Gefahren und Beeinträchtigungen betrachten, sondern vielmehr als Einladung für mehr Innovation. Wie können wir Mehrwert schaffen und gleichzeitig unsere Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen und unsere Auswirkungen auf diese verringern? Erleichtert uns unser derzeitiges Geschäftsmodell diese Aufgabe? Welche Änderungen sind erforderlich?
Jene Unternehmen, die weitermachen wie bisher, gefährden ihre Marktposition, da neue Unternehmen mit nachhaltigeren Alternativen, die für die Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiver sind, nachrücken. Unternehmen, die jetzt damit beginnen innerhalb der planetaren Grenzen zu wirtschaften, haben die Chance, eine Vorreiterrolle einzunehmen, innovative Ideen zu entwickeln und ihren Marktanteil gegenüber ihren Mitbewerbern zu erhöhen.
Planetare Wirtschaft oder Pleite
Das Jahr 2030 rückt näher und es stehen zahlreiche Vorschriftenänderungen bevor. Die Herausforderungen in den Bereichen Klimawandel, biologische Vielfalt, Wassermanagement und andere Umweltprobleme können nicht isoliert voneinander in Angriff genommen werden. Zur Bewältigung der Umweltkrise braucht es nun einen ganzheitlichen Ansatz.
Daher sollten Unternehmen bereits jetzt damit beginnen, innerhalb der planetaren Grenzen zu agieren.
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